Achtung: Dieser Artikel soll die religiösen Gefühle nicht verletzen und gibt nur ganz individuelle Eindrücke wieder.
Varanasi, die heilige Stadt, kommt wie vieles in Indien auf den ersten Blick zwar spirituell und irgendwie mystisch daher, zeigt sich aber bei genauem Hinsehen recht „down-to-earth“ und wirkt zwischen Handygebimmel, Dreck, heiigen Kühen, Wäschewaschen und Leichenteilen recht weltlich. Hier spielt sich nämlich alles auf sehr engem Raum ab, so dass es passieren kann, dass während einer heiligen Zeremonie schon mal eine Kuh in den Weg trottet, man das laute Klatschen eines nassen Saris auf einem Waschstein hört oder sich ein Mann die Zähne putzt, während neben ihm eine Kinderleiche dem Ganges übergeben wird. Denn- so haben wir bei einem erneuten Besuch von der Wasserseite der Burning Ghats erfahren-
werden besonders „heilige“ Leichen – also die Körper von Schwangeren, Kindern und Mönchen – nicht verbrannt ( das wäre gotteslästerlich) sondern dem Ganges im Ganzen übergeben. Schade eigentlcih, dass die Überreste dann – ob heilig oder nicht – auf dem anderen Flussufer dann von wilden und meist tollwütigen Hunden angefressen werden.
Deshalb müssen wir nun bei jedem der zahllosen Straßenhunde, denen wir hier begegnen, daran denken, dass die lieben Wauwaus wahrscheinlich ein Teil von Shiva ( heilige Körper haben hier göttlichen Gehalt) im Gedärm herumtragen. Weiter möchte ich diesen Gedanken hier jedoch eigentlich nicht spinnen…
Es bleibt aber zu sagen, dass die Inder, die immer wieder mit Stöcken nach den Tieren schlagen, um sie zu vertreiben, von deren heiligen Interieur und manchmal auch heiligen Hinterlassenschaften nicht sehr begeistert zu sein scheinen. Hier von einer „Lebendsymbiose“ zu sprechen, ist auch übertrieben, obwohl die Menschen, die in den Dörfern hinter Varanasi leben, wohl nicht undankbar sind, dass somit nicht allzu viele Leichen vor ihrer Haustür vorbeitreiben.
Wir haben tatsächlich keine Körper im Fluss treiben, sondern nur die Hunde bei ihrer Mahlzeit am Ufer beobachten können. Mit dem dazugehörigen Sonnenaufgang sah das schon fast wieder majestätisch und irgendwie heilig aus.

Für die Hindus gehört das einfach zu ihrem Glauben dazu, weshalb hier – so scheint es – nicht über derlei nachgedacht wird. Auch über die Verschmutzung ihres heiligen Flusses denken die Menschen in dieser verrückten Stadt, die übrigens zu 80% vom Tourismus lebt, nicht nach, wie uns ein örtlicher Führer indirekt bestätigte, als er uns stolz von den Wassertürmen erzählte, die das Gangeswasser in der ganzen Stadt ungefiltert in die Wasserleitungen pumpen. Diese Errungenschaft der modernen Technologie bewegte uns dazu, auf eine Dusche hier in Varanasi zu verzichten, die manchmal eingedenk der Asche in den Haaren, die sich nach dem Besuch eines Verbrennungsghates dort unweigerlich ansammeln, durchaus angezeigt gewesen wäre. So nimmt man sich quasi einen Teil der Stadt und vor allem ihrer Menschen mit ins Bett und kann sich so auch körperlich als Mitglied dieser spirituellen Gesellschaft begreifen. Jedem, der sich jetzt ein wenig ekelt, sei gesagt, dass von einer Dusche mit reinem Gangeswasser, obwohl dieses heilig ist, selbst im Lonely Planet, dem Reiseführer der Globetrotter, strengstens abgeraten wird, wenn die hoteleigenen Boiler es nicht schaffen, eine Wassertemperatur von über 60 Grad herzustellen. Da unser Boiler dies auch dann nicht schaffte, wenn der Strom gerade mal nicht ausgefallen war („ It´s the government, we´re sorry!“), stiegen wir auf die aus der Mongolei bekannte Katzenwäsche aus Plastikflaschen um. Zimperlich oder auch budgetiert sollte man als Besucher dieser Stadt in dieser Hinsicht nicht sein ( Das Hyatt hat bestimmt gute Boiler und Wasserfilter;-) Aber das gilt ja eigentlich für ganz Indien, ein Land, das überall von Gegensätzen gezeichnet ist.
Nach der morgendlichen Bootsfahrt, die die Wirklichkeit im nebligen Zwielicht verschwinden und bei uns tatsächlich spirituelle Gefühle entstehen ließ,
mussten wir auch bald wieder zurück in die Wirklichkeit, um im örtlichen (angeblich internationalen Standard entsprechendem) Krankenhaus Julias Fuß überprüfen zu lassen. ( Zitat Julia: „Wenn die irgendwas unter meiner Haust machen wollen, bin ich weg!“) Das Heritage Hospital scheint zwar für indische Verhältnisse durchaus sauber zu sein ( so berichteten andere Backpacker) wir empfanden es aber als ein… Drecksloch, in dem man sich mehr holt, als man hinbringt.

Da versteht man gleich, wo resistente Killerbakterien herkommen… Wir wollten eigentlich nichts anfassen und uns nirgendwo hinsetzen. Nachdem wir jede Behandlung im Einzelnen im Vorhinein bezahlt hatten ( Ein Plus: Röntgenaufnahmen kosten hier nur 19 Euro und eine Schiene, die Julia später bekam, kostet hier nur 10 Euro, in D aber 150 Euro, aber wozu ist man schließlich versichert?)

brachte man uns direkt in den sterilen orthopädischen OP-Bereich, da der einzige verfügbare Orthopäde gerade mitten in einer surgery steckte. War aber kein Problem, da wir ja unsere Schuhe vor dem Betreten des sensiblen Bereiches ausziehen mussten. Wir durften dann im Aufwachraum warten, wo man uns, nachdem man festgestellt hatte, dass wir uns weigerten, uns hinzusetzen, frische Laken ohne Blut-,Schleim und andere Flecken brachte, die sich als nur wenig sauberer entpuppten. Wir vermuten, dass diese ebenso wie die meiste Hotelwäsche direkt im Ganges gewaschen und dann am Uferstreifen getrocknet wird. Nachdem der Arzt Julia kurz äußerst schmerzhaft auf den Fuß gedrückt hatte, schickte man uns zum Röntgen, und am Ende bekamen wir tatsächlich die dringend benötigte Schiene, damit Julia nach einigen Tagen Ausruhen wieder loshumpeln kann. Alles in allem war der Besuch im Krankenhaus äußerst „heilsam“, denn wir wollen hier kein Krankenhaus mehr von innen sehen und sind nun umso begeisterter von der deutschen Gesundheitsversorgung, die sich zwar leider in zwei Klassen spaltet, aber auch für jeden Kassenpatienten das Tausendfache von dem bietet, was man hier bekommt.
Nach diesem Besuch ( mittlerweile war es Nachmittag geworden) ging es in die Stadt, um etwas zu essen und die Wirklichkeit bei einem frisch gepressten O-Saft und Pfannkuchen in einem klimatisierten Café, das gefiltertes Wasser verwendet, zu verdrängen.
Hier waren wir inmitten von anderen Backpackern, die auf ihren Macs und/oder Tablets herumtippten, wieder in der heilen indischen Welt angekommen, und konnten entspannt auf dem Sofa über Indien vs China diskutieren ( eine Diskussion, die noch lange nicht ausgefochten ist, da ich der China-Fan bin und Julia nach wie vor Indien präferiert). Nur so viel sei dazu gesagt: Nach unseren Erfahrungen in Indien finde ich, dass der Kommunismus China eigentlich gar nicht so schlecht getan hat…
In diesem Café trafen wir auch ein französisches Pärchen, das seit eineinhalb Jahren rund um die Welt unterwegs ist und dabei versucht, auf Flüge zu verzichten Da die beiden auch in den Stans und Iran unterwegs waren, erzählten wir von unserem niederländischen Reisegefährten aus der Mongolei, mit dem wir viele schöne Stunden erlebt haben. Plötzlich fragte Alex, der französische Junge, der seit Monaten mit Diarrhoe kämpft, weshalb die beiden jetzt auch nach Frankreich fliegen, um sich in Behandlung zu begeben, wie dieser nette Niederlander heißt. Und so stellte sich heraus, dass die beiden unseren Will in Mittelasien kennengelernt und seitdem auch immer Kontakt gehalten haben. So klein ist doch die Backpacker-Welt!!!
Zur Erinnerung: Will ( mit uns in Ulan Baatar )
Nach dieser netten Unterhaltung ging es durch die engen Gässchen der Stadt
in Richtung des Haupt-Verbrennungsghates, bei dem wir kurz nach Sonnenuntergang ankamen. Hier konnten wir von Nahem beobachten, wie die öffentlichen Verbrennungen – für uns fast ohne erkennbares Zeremoniell – von den so genannten Doms aus der Klasse der Harijans durchgeführt werden. Man verwendet tatsächlich für jede Leiche nur so viel Holz, wie notwendig ist ( Holz ist für Inder teuer, 50 Rupien pro Kilogramm, 5000 Rupien pro Monat ist wohl das Durchschnittsgehalt eines Inders pro Monat). So werden die Leichen zwar in Tücher verhüllt durch besagte Gassen getragen, aber dann relativ sang- und klanglos ausgepackt und von etwa 6 Männern auf den eigenen Scheiterhaufen gelegt und mit einer Reihe Hölzern zugedeckt. Nach einigen Andenkenfotos durch die Verwandten ( wir haben natürlich keine Fotos gemacht, das ist nicht angemessen), die wir als sehr pietätlos empfanden, ebenso wie die Tatsache, dass hier und da ein Handy klingelte, nebendran gegessen und Zähne geputzt wurde, wurden die Holzscheite mit glühenden Stücken aus anderen Scheiterhaufen entzündet und wohl duftende Kräuter dazugegeben, So roch es hier zwar intensiv, aber wir empfanden es nicht als unangenehm. Trotzdem würden wir keine Kinder oder empfindsame Menschen mit zu diesem Verbrennungsort nehmen, da man schon sehr explizit mit dem Tod konfrontiert wird.

Übrigens bestehen die Trauergesellschaften, die der Verbrennung beiwohnen, hier ausschließlich aus Männern, weil die Frauen zu Hause die eigentliche Trauerarbeit leisten. Dies ist wiederum ein Eindruck, den wir von ganz Indien und der Gesellschaftsordnung hier erlangt haben: Man sieht nicht nur deshalb viel mehr Männer auf der Straße, weil hier oft – wie bekannt – Mädchen aus ökonomischen und traditionellen Gründen abgetrieben werden ( die Statistik setzt deutliche Zeichen), sondern auch, weil die Frauen hier an Heim, Kinder und Herd gebunden sind und deshalb – außer für ritulle Zeremonien – nichts in der Öffentlichkeit zu suchen haben. Dieses patriarchalische Lebensmodell sollte mir eigentlich liegen, dünkt mir aber äußerst ungerecht und zeigt wiederum, wie tief Indien noch – trotz anderslautender Gesetzeslage – in eigentlich überkommenen Traditionen verhaftet ist. ( vor allem bezüglich Kasten, Frauenunterdrückung und der Meinung „Saris are for Ladies, Jeans are for Rape“).
Alles in allem kann man in Varanasi zwei unterschiedliche, aber dennoch miteinander verknüpfte Welten entdecken: So sieht man hier ganz banales Leben direkt neben wirklichen Gläubigen, die in tiefer spiritueller Erfüllung ihren Göttern huldigen. Alles vermischt sich dabei für den etwas unbedarften Beobachter zu einem Crescendo von Eindrücken, das einen selbst auf jeden Fall berührt. Dabei lässt sich selbst der Religionskritiker in mir von dem unverrückbaren Glauben, der vielen Menschen hier ins Gesicht geschrieben steht, beeinflussen, so dass ich dazu geneigt bin, den Mönchen, die auf die Gaben der Gläubigen angewiesen sind, auch dergleichen Inbrunst bei der Durchführung ihrer Zeremonien zu unterstellen. Mir persönlich fällt es jedoch schwer, die Realität dabei auszublenden, wie dies viele Menschen hier scheinbar können.
( Zitat Julia: Und es fällt ihm schwer, sich kurz zu fassen!“)