Bereits während unseres Aufenthaltes in China bekamen wir – wenn auch nur am Rande und durch Familie und Freunde in Europa (in den chinesischen Medien wurde natürlich nicht darüber berichtet) – mit, dass in HongKong aufgrund einer „Änderung der Wahlgesetze“ Studenten demonstrieren würden. Natürlich sicherten wir im Vorfeld zu, dass wir uns aus diesen Protesten heraushalten und ganz einfach nicht betroffene Teile der Stadt aufsuchen würden. Und so war auch tatsächlich unser Plan – bis wir dann Freitag abend unser kleines Winzzimmer im Arbeiterstadtteil Monkok bezogen hatten und nochmal für einen kleinen Spaziergang durch die Nachtmärkte aufbrechen wollten: Kaum vor die Türe getreten, waren wir jedoch dann schon mittendrin in einer riesigen Menge junger, dunkelgekleideter Menschen, die Banner und Schilder trugen und konzentriert und ernst den Ansagen eines Aktivisten aus dem Megaphon lauschten.
Auch Polizeieinstzkräfte waren präsent – wobei für uns die Situation in diesem Moment sehr friedlich schien. Zwei Studenten erklärten uns dann auch in gebrochenem Englisch, dass man peacefully für Demokratie in Hongkong kämpfen wolle und es deshalb nicht zulassen würde, dass es zu offenen Konflikten kommt. Wir verstanden auch bald darauf, was die beiden gemeint hatten: Anscheinend waren in der Menge (von der Regierung?) gedungene Mafia-Schergen unterwegs, um die Demonstranten zu reizen und zu blutigen Schlägereien zu animieren. So hätte ein drastisches Eingreifen der Polizei begründet werden können. Doch die Demonstranten schienen sich nicht beirren zu lassen: Wir wurden Zeuge einer handgreiflichen Auseinandersetzung, im Zuge deren die Studenten um uns immer lauter an die Polizisten appellierten und skandierten: „Va-yan, Va-yan!“,
was so viel bedeutet wie : „Nehmt ihn fest!“, also die Aufforderung an die Staatsgewalt, den gewaltbereiten Mann zu entfernen und somit die Ruhe und den Frieden zu wahren. Und tatsächlich wurde der Mann dann – gefilmt von einer Million Handykameras und zwei oder drei Handkameras von CNN – abgeführt.
Überhaupt steht auch diese „Umbrella Revolution“ – die ihren Namen übrigens deshalb trägt, weil man sich ganz zu Anfang mit Regenschirmen gegen die Tränengasattacken der Obrigkeit schützte – ganz im Zeichen der neuen Medien: Überall waren Handys und Tablets auf das Geschehen gerichtet, um Fotos zu machen und zu filmen, und wir sahen auch viele Frauen und Männer, die über Twitter und Facebook den Stand der Dinge weitergaben oder Fotos und Videos teilten.
Die Studenten hatten auch zahlreiche Zugangsstraßen mit Straßenblockaden versehen, so dass es für den Verkehr überhaupt kein Vorankommen mehr gab, was wiederum zu einigen hitzigen Streitgesprächen mit ansässigen Geschäftsleuten und Busfahrern führte.
An einer deser Straßensperren trafen wir dann auch – extremer Zufall in dieser riesigen Stadt, in diesem Gewühl – den Schweizer Journalisten wieder, dem wir zuvor schon in HongKong am Bahnhof begegnet waren. Auch er verfolgte die Geschehnisse sehr gespannt.
Am nächsten Tag stolperten wir dann auf HongKong Island über den Kern der Umbrella Revolution: Hier – im Finanzzentrum der Stadt, direkt vor den Regierungsgebäuden – haben die Studenten sich niedergelassen, Zelte aufgebaut, und sogar die dringend nötigen infrastrukturellen Vorkehrungen für ein langes Ausharren ( Essen, Getränke, Erste Hilfe-Zelte) getroffen.
Tausende von Menschen bezeugen ihre Unterstützung durch schwarze T-Shirts, Regenschirme und gelbe Schleifen, und überall hängen Plakate, Banner und Schilder, die die wichtigsten Forderungen der Demonstranten, aber auch die zahllosen Solidaritätsbekundungen von Menschen aus aller Welt bezeugen.
Wir gehen durch die Menschenmenge, unterhalten uns mit mehreren Studenten über die Situation und bekunden auch unsere Unterstützung – natürlich mit gelben Schleifchen, einem Post it an der Wall of Memory und durch die Teilnahme an einem Fotoprojekt, das die Demonstranten und ihre Forderungen unterstützen soll.
Link der Aktion: 852 unnamed documentary (https://www.facebook.com/852unnamed)
Die Einschätzung der Geschehnisse und der zu erwartenden Ergebnisse der Proteste fällt insgesamt schwer: Es ist überhaupt nicht abzusehen, wie und in welcher Form die Regierung auf die Demonstranten und ihre Forderung reagieren wird, und natürlich denkt man immer wieder an die blutige Niederschalgung des Studentenprotestes am TiananMen-Platz in Peking 1989.
Allerdings: Das hier ist nicht Peking, und wir schreiben das Jahr 2014. Da in Hongkong Pressefreiheit herrscht, sind Film- und Kamerateams der internationalen Fernsehsender vor Ort und berichten live über die Geschehnisse. Die ganze Welt – außer Mainland-China, hier werden alle Berichte über HongKong derzeit geblockt – schaut auf die Studentendemos und verfolgt das Geschehen mit wachem Interesse.
Insofern wird die chinesische Regierung sehr vorsichtig vorgehen müssen, unabhängig davon, in welche Richtung die Aktionen verlaufen werden. Und auch die Tatsache, dass alle vernetzt sind und Ereignisse sofort und unverzögert im Internet landen, spielt den Demonstranten in die Hände – jegliche gewaltvolle oder wie auch immer geartete suppressive Handlung würde sofort im Netz landen und durch zahlreiche Aufnahmen bestätigt werden und somit Zeugnis ablegen vom Vorgehen der Obrigkeit.
Nichtsdestotrotz: Wir vermuten, dass es am Ende keinen Schritt in Richtung Demkratie geben wird. Die momentane Taktik der Regierung scheint darauf hinzudeuten, die „Situation auszusitzen“, also die Studenten demonstrieren zu lassen, ohne zu reagieren oder auf irgendwelcche Forderungen einzugehen, bis die Bewegung in sich zusammenfällt und jeder irgendwann wieder zur Tagesordnung übergeht. Für Montag Morgen wurde nun ein Ultimatum gestellt, dass die Regierungsgebäude in Central Hong Kong geräumt werden müssten, sonst würden “ alle zur Wiederherstellung des sozialen Gleichgewichts nötigen Schritte unternommen“ werden. Wir sind gespannt und hoffen, dass es den Studenten gelingen wird, diesen Sieg für die Demokratie zu erringen – und diese Hoffnung bleibt bestehen, trotz der realistischen Einschätzung, dass sich China gar nicht erlauben kann, hier die Zügel zu lockern, ohne auch Auswirkungen auf Mainland China befürchten zu müssen.
Prolog: Inzwischen (an unserem Abreisemorgen) haben die Studenten klugerweise dem Ultimatum gemäß die Regierungsgebäude freigegeben, um den friedlichen Protest weiter friedlich fortsetzen zu können. Allerdings hat Mainland China schon signallisiert, dass man hier nicht weichen wird. Man wrd in den nächsten Tagen bzw. Wochen sehen, wie sich die Situatuíon entwickelt…Es bleibt zu hoffen, dass sich die Botschaften, welche die Demonstranten auf etlichen Bannern und Plakaten verbreitet haben, in den Köpfen halten und sich irgendwann einmal tatsächlich auch hier umsetzen lassen. Es könnte sein, dass Hongkong somit ein Einfallstor für die Demokratie in China wird… Noch scheint es aber nicht so weit.